Geologie und Erdgeschichte von Deutschland

Deutsche Alpen und Alpenvorland

Helvetikum (Überblick)

Die Alpen lassen sich tektonisch in wenige Haupteinheiten gliedern: Helvetikum, Penninikum, Ost- und Südalpin. Diese stellen heute komplexe Deckensysteme dar, in denen die einzelnen Decken als relativ geringmächtige Gesteinslagen von ihrem Untergrund abgeschert und teilweise mehrere 100 km transportiert worden sind. Helvetikum, Penninikum und Ostalpin wurden nach Norden und Westen auf das europäische Vorland bewegt. Dabei handelt es sich um ursprünglich nebeneinander liegende Ablagerungsräume, die durch die Alpidische Gebirgsbildung übereinandergeschoben wurden. Je südlicher ein Ablagerungsraum lag, desto höher ist heute seine Lage im alpinen Deckenstapel.

Etwas vereinfacht ausgedrückt liegt daher das Ostalpin auf dem Penninikum und dieses wiederum auf dem Helvetikum. Das Helvetikum seinerseits hat noch den gebirgsnahen Teil der Molasse überfahren und diese ebenfalls in die Faltung einbezogen (Abb. 1). Das Südalpin, das durch eine bedeutende Störungslinie von den übrigen Haupteinheiten getrennt wird, zeigt eine nach Süden auf das oberitalienische Vorland gerichtete Überschiebungstektonik.

Abb. 1: Der nach Norden auf das Vorland (Molasse) gerichtete Deckenbau der Alpen, stark vereinfachtes Schema

Die Alpen sind ein Kollisionsgebirge, das durch die Kollision des europäischen Kontinentes mit der Adriatischen (Adriatisch-Apulischen) Platte entstand. Diese war ein Stück kontinentaler Kruste, die von Gondwana stammte und am Rande der Tethys lag. Die Hauptphase der Kollision fand im Alttertiär (Paläogen) statt. Dabei wurde das zwischen beiden Kontinenten liegende Penninikum, das ozeanische und kontinentale Kruste enthielt, weitgehend subduziert. Plattentektonisch bildete das Helvetikum den südlichen Kontinentalrand Europas. Ost- und Südalpin stellten den Kontinentalrand der Adriatischen Platte dar.

Bei der Gebirgsbildung wurden diese ehemals weit auseinander liegenden Ablagerungsräume so zusammen- bzw. übereinandergeschoben, dass sie heute auf engem Raum neben- und übereinander liegen. Abb. 2 zeigt einen Blick vom 2224 m hohen Nebelhorn der Allgäuer Alpen nach Norden. Im Vordergrund und auf der rechten Talseite befindet sich das Oberostalpin, das hier aus dem triassische Hauptdolomit besteht. Diese Sedimente stammen ursprünglich vom Schelf der Adriatischen Platte. Die Berge im Hintergrund (hinten links der Grünten bei Sonthofen) gehören zum Helvetikum und repräsentieren damit Ablagerungen am ehemaligen Südrand der Europäischen Platte. Die Berge in der Bildmitte, auf der linken Seite des Tals, gehören zur Flyschzone und bestehen aus pelagischen Sedimenten, die im Penninischen Ozean zum Absatz kamen.

Abb. 2: Blick vom Nebelhorn nach Norden auf Ostalpin (vorne und rechts), Helvetikum (Hintergrund) und Penninikum (Bildmitte)

Verbreitung und heutige Lage

Das Helvetikum nimmt große Bereiche im westlichen Alpenbogen ein, wo es im Bereich der französischen Alpen als Dauphiné bezeichnet wird. Auch in den Schweizer Alpen kommt das Helvetikum großflächig vor. Da es weiter östlich von den penninischen Decken überlagert wird, tritt es dort entweder gar nicht oder nur noch als schmaler Streifen am nördlichen Alpenrand in Deutschland und Österreich zutage (Abb. 3).

Während die Sedimente in den helvetischen Decken heute in allochthoner Position vorliegen, gehören auch Teile des kristallinen Untergrunds zum Helvetikum. Hier wurde das schon variszisch geprägte Basement der Europäischen Platte freigelegt. Diese Externmassive (u.a. Aar-Massiv, Gotthard-Massiv) wurden während der Alpidischen Gebirgsbildung zwar auch tektonisch beansprucht, nicht aber in den helvetischen Deckenbau einbezogen und sind daher in autochthoner Lage verblieben. Dies gilt auch für einen Teil der ihnen aufliegenden jüngeren Sedimente. Die Externmassive liegen deshalb an der Oberfläche frei, weil sie Bereiche starker Hebung und folglich starker Abtragung darstellen. Auch sie lagen ursprünglich unter dem Stapel helvetischer Decken.

Abb. 3: Geologische Gliederung der Alpen, stark vereinfacht

Im deutschen Teil der Alpen nimmt das Helvetikum meistens nur einen schmalen Streifen am Nordrand des Gebirges ein, stellenweise setzt es auch ganz aus. Nur im Allgäu werden größere Areale vom Helvetikum eingenommen. Dazu gehört ein Gebiet westlich und südwestlich von Oberstdorf und ein Streifen, der von Sonthofen bis fast nach Füssen reicht. Höhenbildner des Helvetikums sind insbesondere die harten Gesteine der karbonatischen Schrattenkalk-Formation, die u.a. die Gipfel von Besler, Hohem Ifen, Grünten (Abb. 4), Reuterwanne und Alpspitz aufbauen.

Abb. 4: Blick von Südwesten auf den Grünten

Erdgeschichtliche Entwicklung

Das Helvetikum bildete vor der Alpidischen Gebirgsbildung den Südrand des europäischen Kontinentes. Im späten Paläozoikum hatte hier die Variszische Gebirgsbildung gewirkt. Nach Abtragung der mitteleuropäischen Varisziden war ein flacher Ablagerungsraum entstanden, in dem teils terrestrische, teils flachmarine Sedimente entstanden.

In der Trias lag das Helvetikum noch im Inneren des europäischen Kontinentes. Die Sedimente sind daher in der Fazies der Germanischen Trias entwickelt. Unter weitgehend ariden Klimabedingungen lagerten sich hauptsächlich klastische Sedimente fluviatiler und äolischer Herkunft ab. In Salzpfannen kamen neben Tonen auch evaporitsche Ablagerung zum Absatz. Im Süden verzahnten sie sich mit Ablagerungen des Küsten- und flachen Schelfbereichs. Sie stehen den noch landferner entstandenen Gesteinen der Alpinen Trias entgegen, die eine andere plattentektonische Herkunft aufweist und zum Ostalpin gehört.

Mit der beginnenden Öffnung des Atlantiks änderte sich das Spannungsgefüge am Südrand des helvetischen Ablagerungsraumes. Es kam zur Ausdünnung der Kruste und schließlich zur Öffnung des (Süd-)Penninischen Ozeans im Jura. So entstand an der Südgrenze des Helvetikums ein Passiver Kontinentalrand. Dort bildeten sich im Jura und in der Kreide im Schelf-Bereich hauptsächlich karbonatisch-mergelige Sedimente. Über einen langen Zeitraum herrschten stabile Ablagerungsbedingungen, wobei die Wassertiefe von Nordwesten nach Südosten hin auf den offenen Ozean kontinuierlich zunahm. Zur gleichen Zeit hatte die Gebirgsbildung weiter im Süden, im Bereich des Ostalpins, bereits begonnen.

Zu den mächtigsten, landschaftsprägenden Ablagerungen des Helvetikums gehören die Quinten-Formation aus dem Oberjura und die Schrattenkalk-Formation aus der Unterkreide. Am Kontinentalhang, der den Übergang des Flachmeeres zum Penninischen Ozean kennzeichnet, befand sich das Ultrahelvetikum, wo pelagische Sedimente zum Absatz kamen.

Abb. 5: Helvetische Kalksteine (Seewen-Formation) im Gipfelbereich der Alpspitz bei Nesselwang

Zu Beginn des Tertiärs kam es stellenweise zu Schichtlücken und zur Erosion der zuvor abgelagerten Kreide-Sedimente. Dies zeigt an, dass der helvetische Raum zeitweise über den Meeresspiegel gehoben war und der Abtragung unterlag. Zu Beginn des Oligozäns endete die Sedimentation schließlich ganz.

Das Helvetikum wurde im Miozän als letzte der Haupteinheiten von der Gebirgsbildung erfasst, als weiter südlich bereits ein Gebirge entstanden war, in dem die ehemals penninischen und ost- und südalpinen Sedimentationsräume schon in großräumige Decken gelegt waren. Durch den von Süden kommenden Druck wurde das Helvetikum von seiner kristallinen Unterlage gelöst, in Decken gelegt und nach Norden geschoben. Dabei überfuhr es Teile der Molasse, deren südlichen, gebirgsnahen Schichten dadurch als Faltenmolasse gestaucht, zerschert und schuppenartig übereinander gelegt wurden.

Literatur

MESCHEDE, M. (2015): Geologie Deutschlands. - 249 S.; Berlin, Heidelberg

PFIFFNER, O. A. (2015): Geologie der Alpen. - 397 S.; Bern

SCHOLZ, H. (2016): Bau und Werden der Allgäuer Landschaft. - 354 S.; Stuttgart